18. März 2017 Fraktion Norderstedt

Kampf um Sozialen Wohnungsbau

Kurzfassung: Heftiger Streit im Norderstedter Sozialausschuss über den Sozialen Wohnungsbau. LINKE und SPD haben eine städtische Wohnungsbaugesellschaft gefordert, um die Wohnungsnot zu lindern, Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote und die CDU sind klar dagegen. DIE LINKE wirft Grote jetzt vor, sozial schwache Norderstedter ins Segeberger Umland verdrängen zu wollen.

Shodwown in Sitzungssaal 1: In einem fast zweistündigen Rededuell mit Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote (CDU) und zwei Vertretern der Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB) machten Fraktionschef Miro Berbig und Sozialpolitiker Olaf Harning im Sozialausschuss deutlich: Ein "weiter, wie bisher" im Sozialen Wohnungsbau wird es mit der LINKEN nicht geben!

Für eine Art Frage- und Antwortspiel war u.a. Axel Vogt, Leiter Immobilien bei der IB, ins Norderstedter Rathaus gekommen und tat dabei sein bestes, die Ausschussmitglieder von der Idee einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft abzubringen. Die nämlich sei am Ende auch nur "ein zusätzlicher Player" am Markt, berge durch hohe Investitionskosten finanzielle Risiken und könne die Wohnungsnot alleine ohnehin nicht lösen.

Verwaltungschef Grote gefiel diese Wertung sichtlich: Nachdem er den Mitgliedern des Sozialausschusses ein paar zusätzliche Anreize für die private Wohnungswirtschaft in Aussicht gestellt hatte, um der Wohnungsnot zu begegnen, regte er so ganz nebenbei eine Art Bündnis mit den Segeberger Umlandgemeinden an: Ein, zwei Busverbindungen mehr, dazu eine gestärkte Infrastruktur, schon könnten die Wohnungssuchenden aufs Land ziehen. "Eine charmante Umschreibung für die Verdrängung der Ärmsten ins Hinterland", kommentierte Harning diesen Vorschlag, der im übrigen gar keiner sei: "Diese Verdrängung läuft bereits, Herr Grote, weil arme Menschen in Norderstedt schon lange keine Wohnungen mehr finden!"

Hintergrund: Schon ein GEWOS-Gutachten aus dem Jahre 2009 führte der Norderstedter Kommunalpolitik vor Augen, dass in der Stadt rund 4.000 kleine, bezahlbare Wohnungen fehlen. Dazu kommt der massenhafte Wegfall von Sozialwohnungen: Weil SPD und CDU 2007 das schleswig-holsteinische Wohnraumförderungsgesetz aufweichten und alle Sozialwohnungen nach 35 Jahren - rückwirkend - aus der Bindung kippten, lösen sich bis 2018 alleine in Norderstedt knapp 1.500 der einst 2.400 Sozialwohnungen in Luft auf. Gleichzeitig ist Norderstedt bei den Mieten landesweit Spitze, rangiert mit 8,70 Euro pro Quadratmeter unmittelbar hinter den Ferieninseln Amrum, Sylt, Föhr und Helgoland.

Den Aufbau einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft lehnte der Oberbürgermeister hingegen kategorisch ab - und rechnete schon deren Gründung mit einem Taschenspielertrick kaputt: "Eine Gesellschaft, die ausschließlich Sozialwohnungen baut, ist nicht wirtschaflich zu führen", mahnte er die Ausschussmitglieder immer wieder und auch dann noch, als ihn DIE LINKE bereits zum zweiten Mal korrigiert hatte: "Niemand im Saal", so Harning, "fordert eine Gesellschaft, die ausschließlich Sozialwohnungen baut!".

Tatsächlich strebt DIE LINKE seit Jahren den Wiedereinstieg in den kommunalen Wohnungsbau an - entweder mit einer neu zu gründenden, städtischen Wohnungsbaugesellschaft, oder durch die Ertüchtigung der bestehenden Entwicklungsgesellschaft egno. Entgegen der Darstellung des Oberbürgermeisters soll diese Unternehmung aber eine Art "Drittel-Mix" bauen: Mindestens ein Drittel Sozialwohnungen, etwa ein Drittel nach Mietenspiegel und ein Drittel zu Marktpreisen. Außerdem will DIE LINKE die in Norderstedt festgeschriebene Quote für den Bau von Sozialwohnungen generell von 30 auf 40 Prozent anheben und sie künftig auf alle Wohneinheiten eines Wohnbauprojektes anwenden - ganz gleich, ob Reihen- und Einzelhäuser oder Geschossbauten errichtet werden.

Während sich die SPD der Forderung nach einer Wohnungsbaugesellschaft inzwischen angeschlossen hat, steht DIE LINKE mit den übrigen Punkten alleine da: die Haltung von GRÜNEN, WIN und FDP ist unklar, die CDU signalisiert ein klares "Nein", ließ Doris Vorpahl in der jüngsten Ausschusssitzung erklären: "Norderstedt hat nicht geschlafen, wir haben in den letzten Jahren 528 Sozialwohnungen gebaut". Das stimmt erstens nur bedingt, beinhaltet die Zahl doch auch alle geplanten und angedachten Bauvorhaben, würde die Wohnungsmisere aber zweitens ohnehin nicht lösen: Mindestens 6.000 bezahlbare Wohnungen fehlen derzeit in der Stadt, während die Mieten insgesamt zügig steigen und immer mehr Menschen auf geförderte Wohnungen angewiesen sind. 

Kein Wunder, dass Harning und Fraktionschef Miro Berbig vehement auf weitergehenden Maßnahmen bestanden und die Idee der städtischen Wohnungsbaugesellschaft weiter vorantreiben: "Während wir hier nach Lösungen suchen und einige hundert geförderte Wohnungen gebaut haben, sind fast 2.000 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen", so Harning. Und in Richtung Oberbürgermeister: "Alle Träger, die mit der Wohnungsnot befasst sind, sagen uns: Es hat sich nichts geändert, die Situation hat sich weiter verschärft. Was bisher erreicht ist und was Sie hier vorschlagen, Herr Grote, reicht nicht hinten und nicht vorne!"

Schon in den nächsten Wochen wird DIE LINKE ihre Forderungen in Anträge gießen und in den Gremien der Stadt zur Abstimmung stellen. Ob es dafür Mehrheiten gibt, ist zwar noch unklar - langfristig aber ist Berbig optimistisch: "Herr Grote, wir reden nun schon seit gefühlt neun Jahren über eine städtische Wohnungsbaugesellschaft ... und wir werden auch noch in weiteren neun Jahren darüber reden. Dann klopfen wir uns zusammen auf die Schenkel und lachen über die Bedenken, die Sie heute vorgebracht haben."


  • Bild oben: Neubausiedlung an der Kiebitzreihe in Harksheide, Foto: Harning
  • Abbildungen mittig: Sozialwohnungsbestand im Sinkflug. Einst gab es in Norderstedt sogar fast 3.000 Sozialwohnungen (Quellen: Norderstedter Sozialbericht 2015,; eine Verwaltungsvorlage aus 2014).
  • Abbildung unten: Landesweites "Mietenranking" Schleswig-Holstein, Auszug aus einer Verwaltungsvorlage des Jahres 2014.