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28. Oktober 2016 Olaf Harning

Obdachlosenhilfe: Betonköpfe gesucht

"Vergesst nicht die Obdachlosen!", mahnten Doris Vorpahl und Katja Rathje-Hoffmann Ende Oktober im Abendblatt. Wen sie mahnten, ist allerdings unklar - die meisten Fraktionen beschäftigen sich regelmäßig mit den Themen Obachlosigkeit und Wohnungsnot - vor allem DIE LINKE (Screenshot Abendblatt, 19.10.2016).

Ringelpiez mit Anfassen bei Norderstedts Christdemokraten. Weil Sozialpolitikerin Doris Vorpahl (kam einst von der SPD) und Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann bei der Unterstützung von Obdachlosen über "Betonköpfe in den eigenen Reihen" klagten, hängt in der Union nun der Haussegen schief.


Hintergrund des innerparteilichen Krachs ist eine Debatte über die künftige Finanzierung der Tagesaufenthaltsstätte (TAS) am Rande des Herold-Centers. Weil die Einrichtung zur Unterstützung und Beratung Obdachloser zuletzt immer stärker frequentiert wurde, die Stunden von TAS-Leiterin Tabea Müller aber schon bislang eng bemessen waren, kriecht das parteiübergreifend anerkannte Diakonie-Projekt praktisch auf dem Zahnfleisch. Auf seiner Sitzung am 17. November wird sich der Sozialausschuss deshalb intensiv mit der finanziellen Ausstattung der Tagesaufenthaltsstätte beschäftigen.

Für Vorpahl und Rathje-Hoffmann war das offenbar ein willkommener Anlass, die oft eher überschaubare soziale Kompetenz der CDU nach vorne zu stellen: Während die Union bei den zweimonatlichen Treffen des "Arbeitskreises Obdach für Alle" (AKO) meist mit Abwesenheit glänzt, luden die beiden Politikerinnen Mitte Oktober Medienvertreter in die TAS, knuddelten einen Obdachlosen und forderten öffentlichkeitswirksam die bessere Ausstattung des Projekts - eine Forderung, bei der Vorpahls Parteikollegen im Sozialausschuss zuletzt vernehmbar knurrten. Und als Abendblatt-Redakteur Andreas Burgmayer genau deshalb nachhakte, beklagten sie eben die eingangs erwähnten "Betonköpfe" in den eigenen Reihen.

Die innerparteiliche Reaktion ließ erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten, ebensowenig das Dementi der redseligen Damen: Natürlich sei mit den "eigenen Reihen" nicht direkt die eigene Fraktion gemeint gewesen, sondern "Betonköpfe aller Fraktionen", ließ Vorpahl in einer eilig hinterher geschobenen Erklärung wissen. Seltsam nur, dass bei der Unterstützung von Obdachlosen in den vergangenen Jahren - wenn überhaupt - nur FDP und CDU dagegen hielten. Wo Vorphal und Rathje-Hoffmann also Betonköpfe in den anderen Fraktionen ausgemacht haben wollen? Man weiß es nicht.

Bleibt abzuwarten, wie sich die Union nun am 17. November im Sozialausschuss verhält. Da mit Vorstößen für eine bessere Aussstattung der TAS aus Politik und vielleicht sogar Verwaltung zu rechnen ist, wird sich spätestens an diesem Tag zeigen, ob und wo in der Obdachlosenhilfe noch Betonköpfe zu finden sind. In der LINKEN jedenfalls nicht: Wir fordern seit jeher eine umfangreiche Unterstützung der Betroffenen. Und mindestens genauso wichtig: Den Bau von Hunderten zusätzlicher Sozialwohnungen, um überhaupt die Grundlage dafür zu schaffen, das Problem der Obdachlosigkeit irgendwann einmal in den Griff zu bekommen.


Zahlen und Fakten zur TAS:

  • Als "sicherer, friedlicher Ort zum Ausruhen" definiert sich die Aufenthaltsstätte für Obdachlose selber. Betroffene erhalten hier eine Grundversorgung mit Nahrung und Möglichkeiten der Körperhygiene, können Kontakte pflegen, erhalten auf Wunsch eine Postadresse und können professionelle Beratung in Anspruch nehmen.
  • Auf jährlich knapp 10.000 Gäste wird die Zahl der TAS-Besucher in diesem Jahr wohl steigen, etwa 8.500 waren es 2015.
  • Die Anzahl der Beratungsgespräche stiegt zuletzt von 118 (2008) und 387 (2012) in auf grob geschätzt 600 im laufenden Jahr.
  • Gut zwei Drittel der TAS-Besucher sind Männer, ebenfalls zwei Drittel sind deutsche Staatsbürger.
  • Die am stärksten vertretene Altersgruppe in der Tagesaufenthaltsstätte ist die der 40-49jährigen (etwa 22 Prozent).
  • 45 Prozent der TAS-Besucher haben (noch) eine eigene Wohnung, 42 Prozent sind aktuell obdachlos. 
  • Gut 26.000 Euro pro Jahr überweist die Stadt der Diakonie bislang für den Betrieb der TAS, auf gut 75.000 Euro sind aber die Kosten der Einrichtung gestiegen - davon alleine 53.000 Euro Personalkosten. 
  • Um die Qualität ihrer Arbeit aufrecht zu erhalten, benötigt die TAS nach eigenen Angaben mindestens 7 Wochenstunden mehr, außerdem Unterstützung für Supervision und Fortbildung ihrer MitarbeiterInnen. Insgesamt gut 22.000 Euro/Jahr zusätzlich würde das kosten.