Zur Zeit wird gefiltert nach: Kreisverbände
Mit einem lauten Alarmruf haben sich mehrere soziale Träger der Stadt an Politik und Öffentlichkeit gewandt. Ihre Forderung: "Kommunaler Wohnungsbau in Norderstedt statt Elendsverwaltung!" DIE LINKE begrüßt den Vorstoß und hofft, dass sich jetzt endlich Mehrheiten für eine städtische Wohnungsbaugesellschaft finden.
"Sehr geehrte Parteipolitikerinnen und Parteipolitiker", beginnt die Petition, die vergangene Woche vom Arbeitskreis Obdach für Alle (AKO) veröffentlicht wurde. Im AKO organisieren sich zahlreiche in Norderstedt aktive soziale Träger - unter anderem die Tagesaufenthaltsstätte (TAS), der Lichtblick, die Schuldnerberatung Norderstedt, der örtliche Mieterverein, die Ambulante und Teilstationäre Suchthilfe (ATS), das Frauenhaus und die Ambulante und teilstationäre Psychatrie (ATP). Sechs dieser Träger haben jetzt die Petition unterzeichnet und fordern von der Politik nicht weniger, als den Einstieg in den kommunalen Wohnungsbau - um Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in Norderstedt endlich wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen.
Während DIE LINKE bereits seit 2009 die Gründung einer städtischen Gesellschaft fordert, um kurzfristig Zeichen zu setzen und langfristig ein gehöriges Wörtchen auf dem Wohnungsmarkt mitzureden, leisten insbesondere CDU und FDP erheblichen Widerstand gegen ein kommunales Engagement. Weil sich die SPD aber Ende 2016 unserer Forderung anschloss und auch bei den GRÜNEN Diskussionsbereitsschaft existiert, hat die Diskussion um den städtischen Wohnungsbau neue Nahrung erhalten. So zeichnet sich schon jetzt ab, dass das Thema "bezahlbarer Wohnraum" sowohl im Vorfeld der Oberbürgermeister-Wahlen, als auch im Kommunalwahlkampf (April/Mai 2018) eine zentrale Rolle spielen wird. Wir bleiben am Ball!
Der Petitionstext des AKO im Wortlaut:
Seit Jahren spitzt sich die Situation auf dem Norderstedter Wohnungsmarkt immer mehr zu. Es fehlt bezahlbarer Wohnraum, insbesondere Mietangebote, die sich preislich im Rahmen der geltenden Mietobergrenzen der Sozialleistungsträger bewegen. In den letzten Jahren sind Tausende von öffentlich geförderten Wohnungen aus der Sozialpreisbindung herausgefallen. Davon ist nur ein Bruchteil durch Neubauten ersetzt worden.
Diese Situation belastet eine zunehmend diversifizierte Gruppe von Norderstedter Bürgerinnen und Bürgern, die in großer Zahl auf den Markt stürmen. Dazu gehören neben den aktuellen Wohnungslosen auch Arbeitslose, anerkannte Geflüchtete, Menschen mit niedrigen Erwerbseinkommen und solche, die trotz Berufstätigkeit aufstockende Sozialleistungen beziehen. Auch Menschen mit kleinen Renten sowie Studierende, Auszubildende und SchülerInnen sind auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen, der jedoch nicht hinreichend zur Verfügung steht und wenn, dann nicht an Mieter mit suboptimalen Bedingungen vergeben wird.
Als Vermieterfaustregel wird ein Anteil von 30% des Haushaltsnettoeinkommens für Mietkosten empfohlen. In der Folge haben Menschen mit niedrigerem Einkommen kaum eine Chance, Wohnungen zugesprochen zu bekommen, da Mietpreise ständig steigen und deutlich solventere Mieter bevorzugt werden. In der Realität geben Mieterinnen und Mieter mit geringem Einkommen oft bis zu 60 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus, so dass ihnen nur noch wenig Geld zum Leben bleibt.
Wer eine günstige Wohnung sucht, macht sehr häufig diskriminierende Erfahrungen. So werden Wohnungssuchende, die Leistungen vom Jobcenter beziehen, bei Wohnunfsanfragen oft mit dem Satz "vom Amt wollen wir nicht" abgewiesen. Auch wenn eine negative Schufa-Auskunft vorliegt, besteht praktisch kaum noch die Chance, eine Wohnung zu bekommen. Familien mit kleinen Kindern haben es ebenso schwer, wie junge Erwachsene, bei denen ein Mietvertrag ohne Bürgschaft selten zustande kommt. Die Adressen der Notunterkünfte sind vielen Vermietern bekannt und tragen ein Image, das Wohnungssuchenden die Tür vor der Nase zuschlägt.
In der Folge leben immer mehr Einzelpersonen, Paare und Familien in prekären, ungeschützten Wohnsituationen, die sie in Abhängigkeitsverhltnisse bringen und oft sehr schnell in direkte Obdachlosigkeit führen. Aus der Not heraus akzeptieren Menschen unzumutbare und mitunter sittenwidrige Mietverträge wie z.B. Wuchermieten, nicht abschließbare Zimmer oder verschimmelte Wohnungen, die leider auch von Privatvermietenden unter Ausnutzung der Notlage angeboten werden. Mitunter sind besondere Erwartungen damit verbunden, von Pflege bis hin zu sexuellen Dienstleistungen. Auch wurde berichtet, dass Makler Bestechungsgelder von Interessenten angenommen haben.
Diese angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt hat folgende Konsequenzen: Die städtischen Notunterkünfte sind voll belegt. In Einrichtungen wie dem Frauenhaus, der Krisenwohnung des Lichtblicks oder betreuten Wohngemeinschaften lebende Menschen "blockieren" die Plätze für neue Notfälle, da sie keine Folgeunterbringung finden, obwohl sie in der Lage sind, in eigenem Wohnraum zu leben. Durch Trennung, Scheidung oder längerfristige Krankheit geraten auch Menschen aus der Mittelschicht in Wohnungsnot und landen in Notunterkünften, in denen kaum noch Fluktuation stattfindet.
Im schlimmsten Fall stürzen Menschen in dieser existenziell bedrohlichen Situation in Suchterkrankungen oder psychische Krisen und sind dann nur noch schwer für Hilfsangebote erreichbar. Menschen, die über längere Zeit keine geregelten Wohnverhältnisse haben, gelingt es nur schwer, in eine "normale" Alltagsstruktur zurückzufinden.
Wohnungslosigkeit bzw. eine fehlende Meldeadresse verunmöglicht oftmals die Integration in den Arbeitsmarkt und erschwert zusätzlich den Ausweg aus der Krise.
Menschen in Not werden auf dem freien Wohnungsmarkt systematisch ausgegrenzt. Es handelt sich hier um eine massive soziale Spaltung, die sozial gefährlich ist. Für die Kommune verursachen Obdach- und Wohnungslosigkeit in hoher Zahl langfristig hohe Folgekosten für Unterkünfte, ordnungsrechtliche Einsätze, Reintegrationsmaßnahmen und dergleichen. Letztlich ist dieses Ausmaß der Verelendung ethisch nicht vertretbar.
Das Recht auf Wohnen hat die UN in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 25, Abs. 1 festgeschrieben: "Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der sich und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände."
Eine Kommunale Wohnungsbaugesellschaft könnte nach unserer Überzeugung dem Problem Abhilfe schaffen, indem sie denjenigen bezahlbaren Wohnraum bietet, die auf dem freien Markt keine Chance mehr haben. Sie bestimmt selbst über die Auswahl der Interessierten und kann frei entscheiden, so dass auch verschuldete Menschen, Arbeitslos, finanziell Arme, Ältere, Familien und Wohnungslose eine Chance auf geregelte und menschenwürdige Wohnverhältnisse erhalten.
Unsere psychosozialen Einrichtungen möchten erfolgreich arbeiten! Die Erfahrungen in der Sozialen Arbeit zeigen immer wieder, wie wichtig geregelte Wohnverhältnisse für das Leben eines Menschen sind. Ein Verlust der Wohnung führt oftmals zu einer Abwärtsspirale in vielen Lebensbereichen, die nur schwer aufzuhalten oder umzukehren ist. Auf der Grundlage gesicherter Wohnverhältnisse hingegen können unsere Integrationsbemühungen Früchte tragen. Dabei geht es um Lebensqualität für benachteiligte Personengruppen, die Übernahme von Eigenverantwortung und schließlich die Sicherung der Existenz durch Arbeit - im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten.
Wir bitten Sie, den kommunalen Wohnungsbau in Norderstedt ins Leben zu rufen, um wohnungslosen Menschen das Grundrecht auf bezahlbares, menschenwürdiges Wohnen zu gewähren!
Für den Arbeitskreis "Obdach für Alle" (AKO):
Tagesaufenthaltsstätte (TAS), Beratungsstelle für Wohnungslose
Lichtblick - Straßensozialarbeit, Krisenwohnung, Beratung