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10. Mai 2011

"Sozialraumorientierung" - Schimäre? Kürzungskeule? Gut für die Betroffenen?

Ein neuer Landesrahmenvertrag der Eingliederungshilfen hakt, weil die Leistungserbringenden Träger sich auf "Sozialräume" orientieren sollen. Aus dem gleichen Grund kommen jetzt die zu erneuernden regionalen Verträge mit den Trägern der Jugendhilfe und des Sozialbereich in die Diskussion. Worum geht es? 

Die Regierenden verteilen um und kürzen u.a. die Sozialetats. Die Wohlfahrtsindustrie, deren Personal extrem belastet ist, bangt um ihre Pfründe. Wie weit sie überhaupt im Einzelfall kompetent arbeitet, steht in den Sternen. Was bei den Bedürftigen ankommt, weiß niemand und es guckt auch keiner gern genau hin in die Welt von Schwerstbehinderten, menschlichen Abgründen, Not und Elend, während wieder andere behaupten, dass an den Sozialausgaben unser Land zu Grunde ginge.

Vor einem Jahr wurde in Berlin ein Temposünder geblitzt. Damit begann die Maserati-Affäre. Die Polizei entdeckte, dass der Luxuswagen dieses Schnellfahrers ausgerechnet auf Betriebskosten der Berliner Treberhilfe fährt, ein Einzelfall? 

Zwei Drittel, nicht nur der Kommunalhaushalte, beträgt der Posten von Sozial- und Jugendhilfen. In den Personalaufwand der Verwaltungen fließt davon höchstens ein einstelliger Prozentbetrag. Der Rest geht abzüglich direkter finanzieller Zuweisungen für Betroffene komplett an die Wohlfahrtsindustrie. Diese Quote ist typisch für alle öffentlichen Haushalte. Von der Arbeitslosenindustrie parallel dazu ganz zu schweigen.

Wenn viele Träger noch als Verein oder gemeinnützig firmieren und keine Gewinne ausweisen, kann das auch bedeuten, dass Erträge in Leitungsgehältern verschwinden, aber viele Träger sind auch schon heute rein privat oder ganz ordinäre GmbH's.  

Parallel zur "Reformierung" des Landesrahmenvertrages in der Eingliederungshilfe, laufen in den Kreisen und Kommunen die Verträge mit den Trägern der Jugendhilfe und des Sozialbereiches nun aus. Für Folgeverträge wird auch hier vehement die Umstellung auf "Sozialraumorientierung" verfolgt.

Was aber spricht dagegen, den Hilfebedürftigen ein komplettes Beratungs- und Hilfeangebot zu unterbreiten, das gesamtes Umfeld in ihrem Sozialraum zu berücksichtigen? Dafür müssen aber die Träger, bisher noch Wettbewerber, sich erheblich umorganisieren. Sie könnten sich ermuntert fühlen, ein gewaltiges Kartell zu errichten, denn die Verwaltungen fordern Komplettabrechnungen pro Hilfebedürftigem.

Damit dürfte klar sein, wohin es laufen kann. Die Träger werden zunächst ihre Pfründe sichern, noch weiter erstarken und die Kürzungen bei den Betroffenen werden überproportional ausfallen. 

Das zu verhindern, sind in Parlamenten und Selbstverwaltungen parteiübergreifend nicht nur die Sozialexperten gefordert. Alle müssen interessiert sein, Licht und Transparenz in den Milliardenschweren Dschungel der Wohlfahrtsindustrie zu bringen, sonst droht die endgültige finanzielle Handlungsunfähigkeit.

Aber auch die Verwaltungen müssen entsprechend umrüsten und nachbessern. Beispielsweise fehlt oft bei Zuzügen von Hilfebedürftigen jede Art der Vor-Information. Erschwerend ist, dass es bei den Rechtsansprüchen aus den einzelnen SGB Büchern an Synchronisation oft mangelt. Für alle Seiten steht somit ein Paradigmenwechsel ins Haus.

Neoliberale, die nur in Wertschöpfungsaspekten denken, statt in Versorgungsverpflichtung, werden sich am schwersten tun. Aber auch die Sparfüchse werden sich wundern, denn bei derartigen Umstellungen fallen nicht Effizienzgewinne schlagartig vom Himmel- im Gegenteil.

Es stehen stets Extra-Belastungen und neue Herausforderungen und ein meist unterschätztes Zeitlimit gegenüber. Es ist, wie eine Fabrik bei laufender Produktion umzubauen. Zu Illusionen gibt es keinen Grund und wer gar glaubt, bei Aufgaben-, Kosten- und Tarifsteigerungen, Budgets deckeln zu können und das bei bestehenden Rechtsansprüchen der Hilfesuchenden, der sollte an dieser Diskussion gar nicht erst teilnehmen.

Wer das Internet besucht weiß, dass der Begriff "Sozialraumorientierung" uralt ist. Mindestens 20 Jahre. Allerdings ist die Lektüre mühsam, sie strotzt von Plattheiten, Binsen- und Seminarweisheiten. Besser sind die Studien über Großstädte, die sich schon mit Sozialraumorientierung versuchen.

Während wir hier im ländlichen Raum eine Pionierleistung vor uns haben sind die Sozialräume dort kompakt. Die Auswertung aus Berlin, wo wir als DIE LINKE mit Regierungsverantwortung Erfahrung haben, ist dennoch aufschlussreich und lässt erahnen, welche Herausforderungen zu meistern sein werden.

http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-jugend/jugendpolitik/sozialraumorientierung/abschlussbericht_sro_2008.pdf?start&ts=1280822150&file=abschlussbericht_sro_2008.pdf

Der erste Schritt für die Träger wird sein, transparente und vergleichbare Standards zu erarbeiten. Wie einige ihrer Tätigkeitsberichte 2010 zeigen, ist auch schon Vorarbeit geleistet worden. Nun geht es darum, dass sie sich quer organisieren und gemeinsam den Selbstverwaltungen ein Angebot machen, bei denen auch DIE LINKE nicht nein sagen kann. 

DIE LINKE Segeberger Kreistagsfraktion hat sich bereits nach diversen Beratungen auch mit Trägern dieses Thema zum Schwerpunkt gesetzt und wird es zum Landesparteitag am 5. Juni einbringen. Dieses Dauerthema wird weit über die nächste Landtags- und Kommunalwahl hinausreichen. Bis zur endgültiger Umsetzung in 3 - 5 Jahren wird es noch reichlich Gezerre und Zwischenverträge geben. 

Weitere Begriffsbestimmungen zu Sozialraumorientierung s. ver.di Papier