19. April 2021

Gefahr durch kriminelle Müllentsorgung und Behördengezänk

Bislang waren illegale Müllkippen oder die „Müll-Mafia“ allenfalls Themen, die man auf Sizilien verortet hätte – oder schlimmstenfalls in ostdeutschen Bundesländern, wo es seit Mitte der 90er Jahre ebenfalls zu illegaler Müllentsorgung in großem Stil kommt. Mit der schwer belasteten Müllkippe, die uns die untergetauchte Familie um Christine Gieschen und die W.A. Gieschen Containerdienst GmbH in Friedrichsgabe hinterlassen hat, ist das Problem nun auch in Norderstedt angekommen. Behördliche Maßnahmen zur Schadensbegrenzung: Bis heute Fehlanzeige! Jetzt fordert DIE LINKE die sofortige Räumung der Halde – und hat deshalb Fotos und Videos vom aufgehäuften Müll veröffentlicht.

Auf ihrem Firmengelände in der Straße „Beim Umspannwerk“ in Friedrichsgabe hat die Firma Gieschen bis 2019 rund 15.000 m3 Unrat aufgetürmt, der sich auf Bauschutt- und Altholzhalden, Berge von Plastik, asbesthaltiges Material und Container unbekannten Inhalts verteilt – und der jetzt schon seit mehreren Jahren vor sich hin rottet. Die kriminelle Energie des privaten Müllhändlers hat enormen Schaden angerichtet: Er hat die zum Teil giftigen, der Sondermüll-Klasse zuzuordnenden Abfälle einfach abgekippt und ist mit seinen Gewinnen auf und davon. Die Behörden waren machtlos oder unfähig zu einer strengen und wirkungsvollen Kontrolle.

Um das Gefährdungspotenzial des Müllbergs abschätzen zu können, wurde erst kürzlich eine erste Erkundung vorgenommen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse liegen sowohl der Fraktion, als auch dem Ortsverband der Norderstedter LINKEN vor. In seiner Gefährdungsabschätzung hat der Gutachter zwar die Auswirkung auf Menschen, Bodenkontamination und Eintrag ins Grundwasser untersucht, jedoch nicht den Einfluss auf Oberflächengewässer. Eine solche Gefährdung ist immer gegeben, wenn ein Grundstück nicht korrekt versiegelt und entwässert wird, so dass Regenwasser gefährliche Substanzen in die Umwelt ausspült. Laut Gutachter sind im Grundwasser zwar langfristig keine relevanten Belastungen zu erwarten, eine akute Gefährdung für die umliegenden Gewerbeflächen und die dort arbeitenden Menschen geht aber z.B. von Asbestfasern aus, die aus dem Müllberg ausgeweht werden.

Für DIE LINKE in Norderstedt zeigt die vorliegende Erkundung, dass das Gelände umgehend zu sanieren ist. “Die Aussagen zur Zusammensetzung des Müllberges basieren lediglich auf einer Drohnenerkundung, die entsprechend oberflächlich und ungenau ist. Was also unter den oberen Schichten des Dreckhaufens noch so alles schlummert, kann gar nicht sicher benannt werden“, sagt etwa Christine Bilger, Sprecherin des Ortsverbandes und Stadtvertreterin der LINKEN. „Aufgrund der kriminellen Energie von Familie Gieschen ist davon auszugehen, dass auch gefährliche Abfälle abgelagert worden sind. Hinzu kommt, dass das Gelände weitgehend unversiegelt sein soll, so dass lösliche bzw. mobile Schadstoffe unmittelbar ins Grundwasser gelangen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir uns in einem Wasserschutzgebiet befinden und gemischte Abfälle umweltgesetzlich als wassergefährdende Stoffe einzustufen sind.“

Neben der Gesundheitsgefährdung der Menschen durch Asbest spricht auch die Brandgefahr, die von unkontrollierten Müllhalden ausgeht, für eine sofortige Räumung des Geländes. Nach Auffassung der LINKEN sollte die zeitnahe Entfernung des Abfalls nicht zuletzt schon wegen der Gefährdung der Personen im Umfeld des Müllberges für die Stadt Norderstedt von oberster Priorität sein. Miro Berbig, Fraktionsvorsitzender der LINKEN in Norderstedt: „Der Schutz von Mensch und Umwelt ist oberste Pflicht der Stadt. Es ist schlicht nicht hinnehmbar, dass eine weitere Gefährdung in Kauf genommen wird, nur um einen Machtkampf mit dem Land fortzusetzen, der bisher zu absolut nichts geführt hat. Die Stadt sollte daher umgehend die nötigen Schritte für eine sachgerechte Räumung des Geländes einleiten, einschließlich der sofortigen Vorbereitung des gesetzlich vorgeschriebenen Ausschreibungsverfahrens zur Auftragsvergabe.“

Wichtig ist der LINKE auch diese Feststellung: Durch effektive behördliche Kontrollen hätte der Umweltschaden von vorneherein verhindert werden können. Berbig: „Die Erfahrungen aus den neuen Bundesländern hätten Warnung genug sein müssen und die 15.000 Kubikmeter Müll haben sich nicht über Nacht in Friedrichsgabe angesammelt.“

Den Weg für die Müllmafia haben der Staat und seine politischen Entscheider überdies selbst bereitet: Weil Bundeskanzler Helmut Kohl 1993 „die Wirtschaft im Osten ankurbeln“ wollte, erließ die CDU/CSU/FDP-Regierung u.a. ein „Investitionserleichterungsgesetz“. Genau das führte aber dazu, dass Zulassungsverfahren für Abfallanlagen vereinfacht, Genehmigungen zügiger vergeben, und Einspruchsrechte von Bürgern zurückgefahren wurden. Bis vor kurzem mussten Betreiber nicht einmal Sicherheitsleistungen hinterlegen - auch die Firma Gieschen nicht.

Hinzu gesellten sich in den 2000er Jahren bundespolitische Fehleinschätzungen in den maßgeblichen abfallwirtschaftlichen Leitlinien, wie Deponieverbote für unbehandelten Hausmüll ohne ausreichende Verbrennungskapazitäten, Recyclingquoten ohne genügend Recyclinganlagen, mehr Eigenkontrollen statt strengerer behördlicher Überwachungen sowie fehlende Behandlungsmöglichkeiten für gefährliche Sonderabfälle. Ein perfekter Nährboden für Müllschieber mit krimineller Energie, wobei die Mülldealer auch international agieren. Ihre Masche ist dabei immer dieselbe: Erst wird der gewerblichen Kundschaft eine professionelle aber verhältnismäßig günstige Entsorgung von Problem-Abfällen vorgegaukelt, dann wird der Dreck zwar abgeholt, aber einfach nur irgendwo abgekippt – mal auf eigenem, mal auf öffentlichem Gelände. Alleine im Bundesland Brandenburg hat der Rechercheblog muellrausch.de mittlerweile rund 150 illegale Müllkippen mit insgesamt 3 Millionen Tonnen Müll verzeichnet – nicht selten von Problemstoffen wie Asbest, Klärschlamm oder Krankenhausabfällen durchsetzt. Wenn die Absicht der Kriminellen entdeckt wird, sind die meist schon über alle Berge.

Und wenn – wie im Fall Gieschen - dann noch die behördlichen Überwachungen ins Leere laufen, weil Kontrollen über die Landesbehörden und nicht durch die Stadt vor Ort vorgenommen werden, kann es schnell zu einem giftigen Müllberg kommen, wie er jetzt in Friedrichsgabe durch die öffentliche Hand zu beseitigen ist.

Zwar kommt rechtlich eine Beräumung und Entsorgung mit Landesmitteln in Betracht, wenn eine konkrete Gefahr festgestellt wird (Ersatzvornahme) – Stadt und Land streiten aktuell, ob Am Umspannwerk ein solcher Fall vorliegt. Im Zweifel aber gilt es nach Meinung der LINKEN, den Norderstedter Müllberg mit Mitteln der Stadt abzutragen und sachgerecht zu entsorgen, um die Gefahren – insbesondere für das Wasserschutzgebiet – schnell zu beseitigen. Außerdem sind sofortige Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Anlieger zu treffen. Und nicht zuletzt ist auch die Politik gefragt, behördliche Strukturen zu schaffen, die künftig eine wirkungsvolle Überwachung der Abfallentsorgungsbetriebe gewährleistet.