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6. Juli 2020 Reinhard Pohl

Buchbesprechung: Jesus - Marx - und ich. Wege im Wandel

Edda Groth kam 1939 zur Welt. Nach Abitur und Studium wurde sie Pastorin. Heute heißt sie Edda Lechner und hält mehr von Marx als von Jesus, ist Mitglied der LINKEN in Norderstedt und Schleswig-Holstein, aber kein Mitglied mehr in der Kirche. In ihrem Buch „Jesus, Marx und ich – Eine Achtundsechzigerin in der Kirche“ beschreibt sie, wie es dazu kam. Schwerpunkt ist die Schilderung der innerkirchlichen Auseinandersetzungen zwischen 1967 und 1975.

  • Abbildung oben: Ausschnitt aus der Norderstedt-Beilage des Abendblatts vom 2. Dezember 2017.
  • Abbildung unten: Titelseite des Buches "Jesus - Marx - und ich. Wege im Wandel. Eine Achtundsechzigerin in der Kirche."

Edda Groth kam in Dithmarschen zur Welt und wurde in ihrer Jugend zu einer Christin, die nicht nur glaubte, sondern vor allem organisierte. Es ging um Jugendgruppen und Ausflüge, Aktivitäten und schließlich die Teilnahme am Kirchentag. Insofern wurde diese Richtung über lange Zeit vorgegeben, allerdings von Anfang an mit einer ganz bestimmten Ausrichtung. Die ausführliche Schilderung hilft sehr, die anschließende Entwicklung zu verstehen.

Sie studierte dann Theologie Das geschah in einer Zeit, als auch die evangelische Kirche noch keine Frauen ordinierte, also mit allen Rechten und Pflichten zu einer Pastorin machte. Es gab zwar weibliche Angestellte, auch in Pfarrämtern, aber so richtig war die Kirche noch nicht bereit. Allerdings schloss Edda Groth ihr Studium in einer Phase ab, als diese Sicherheit schon wankte. Viele Verantwortliche in der Kirche, natürlich damals ausschließlich Männer, verteidigten die Ordination von Männern nicht mehr offensiv, sondern diskutierten, redeten drum herum, argumentierten mit Formlierungen im Kirchenrecht, das eben nur auf Männer als Träger bestimmter Rechte abzielte. Da die evangelische Kirche auch relativ autonome Landeskirchen hatte und hat, damals noch viel mehr als heute, gab es auch eine stark unterschiedliche Praxis und keine richtige Übersicht, ob es nun schon irgendwo eine „inoffizielle“ Pastorin gab oder nicht.

Jedenfalls wurde sie am Ende von Studium und Vikariat ordiniert, entweder als erste oder als Teil des ersten Jahrganges, in dem Pastorinnen offiziell mit gleichen Rechten und Pflichten eingesetzt wurden  Auch in der ersten Pfarrstelle ab 1967 blieb sie Aktivistin, engagierte sich in der Jugendarbeit und fiel in der Gemeinde auf. Das ging weiter mit dem Kirchentag 1969 in Stuttgart, wo es um Gerechtigkeit ging – und konkret um den Krieg in Biafra oder auch die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen, damals gab es ja zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Bundesregierung, die von der SPD geführt wurde und sich die Versöhnung mit dem Osten auf die Fahnen geschrieben hatte.

In der Gemeinde gingen die Veränderungen weiter: Eine Zeitung wurde gegründet, ein Jugendrat entstand, in der Wohnung der Pastorin entstand eine Kommune. Die Diskussionen im Kirchenvorstand drehten sich anschließend nicht nur um die Sauberkeit, sondern auch um Sex, über den es natürlich Gerüchte gab. Andererseits: Auf einer Jugend-Freizeit auf dem Koppelsberg ging es auch um das „Lexikon der Sexualität”, wie ein Foto von 1970 zeigt. Sollen alle Regeln so bleiben wie sie sind? Ja, sagten die alteingesessenen Pastoren der Gemeinde. Nein, sagten viele Jugendliche — und konnten sich für neue Formen von Gottesdiensten begeistern, auf denen jugendliche Laien predigen durften und eine eigene Band die Musik machte. Die Belohnung: ab 1970 durften die Jugendlichen ihre Pastoren duzen, übrigens eine Regelung, die auch in Schulen jüngere Lehrerinnen und Lehrer an-sprachen. Für die konservative Mehrheit im Kirchenvorstand waren das Entwicklungen, die sehr misstrauisch verfolgt wurde.

Es kam, wie es kommen musste: 1970 beschloss die Mehrheit des Kirchenvorstandes, bei der Kirchenleitung die Versetzung der bei ihnen unbeliebten Pastorin zu beantragen. Die Entscheidung fiel aber nur mit knapper Mehrheit. Und die Kirchenleitung reagierte prompt: Der Propst bat die Betroffene um eine schriftliche Stellungnahme zu dem Antrag und bat ausdrücklich darum, den Antrag nicht zu veröffentlichen und auch nicht in einer öffentlichen Gemeindeversammlung vorzulesen. Man ahnte wohl, dass eine Mehrheit im Kirchenvorstand nicht einer Mehrheit in der Gemeinde entsprach und entspricht. Edda Groth veröffentlichte den Versetzungsantrag natürlich erst recht.

Die nächsten 200 Seiten in dem Buch erzählen von der Auseinander-setzung der nächsten Jahre. Die fand im Wesentlichen an zwei Fronten statt: Einerseits betrieb das Landeskirchenamt das Verfahren nur hinhaltend, wollte erkennbar nicht entscheiden, da es Briefe und Unterschriftensammlungen dafür und dagegen gab. Das andere war die öffentliche Arbeit. Hier ging es der Pastorin, dem Jugendrat und anderen nicht nur um den Kurs der Kirche, sondern immer stärker auch um den Kurs der Gesellschaft – und da ging es um Arbeitskämpfe, aber auch um den Krieg in Vietnam.

Das Buch lebt hier wie überhaupt sehr stark davon, dass die Autorin seit ihrer Kindheit mit Leidenschaft Fotos gemacht hat. Zu jedem Treffen von damals, jeder Demonstration, jeder Auseinandersetzung in der Gemeinde, jeder Aktion der Jugendlichen gibt es private Fotos.

Letztlich wandte sich Edda Groth dem Kommunistischen Bund Westdeutschland zu. Als nach langer Zeit der Versetzungsantrag so beschlossen wurde, suchte sie keine neue Gemeinde, sondern trat aus der Kirche aus. Einige junge Pastoren, mit denen sie schon längere Zeit zusammengearbeitet hatte, taten es ihr gleich. Und später heiratete sie den ehemaligen Kollegen Helmut Lechner, zuvor Pastor in Norderstedt.

Die Zeit von 1975 bis heute handelt sie dann auf nur noch 30 Seiten ab. Natürlich war auch die Zeit im KBW konfliktbeladen, weil der ja noch autoritärer organisiert war als die Kirche. So ging es über den BWK schließlich zur LINKEN, wo sie zeitweise im Landesvorstand Schleswig-Holstein war. Sie arbeitete mit an den »Nadelstichen«, einer Alternativzeitung für Norderstedt, die bis 2006 erschien. Danach erschienen ab und zu Artikel von ihr im Gegenwind, und das wird hoffentlich so weiter gehen.

Ein spannender Einblick in rund 30 Jahre Geschichte der Kirche und des Landes Hamburg und Schleswig-Holstein, ein guter Überblick über gesellschaftliche Veränderungen von den 50er Jahren bis heute.

Reinhard Pohl, „Gegenwind“ April 2020. Wir danken für die Genehmigung, den Artikel zu übernehmen!


Edda Lechner: „Jesus – Marx – und ich. Wege im Wandel. Eine Achtundsechzigerin in der Kirche“. LIT-Verlag, ISBN: 978-3-643-14197-2 ; Berlin 2020, 419 Seiten, 34,90 Euro