Zur Zeit wird gefiltert nach: Kreistagsfraktion Segeberg
Die von der Presse breit unterstützte Debatte um den ehemaligen Segeberger Landrat Waldemar von Mohl (1932 -1945) geht spätestens im Kreisausschuss für Bildung, Kultur und Sport am 18.02.2014 in die nächste Runde. Dabei sind auch die Phasen interessant, in denen die Debatte abläuft.
War es vor einem Jahr im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport scheinbar lediglich ein Konflikt zwischen der linken Kreistagfraktion und einigen ewig Gestrigen im Kreistag, die den Linken zuriefen, sich lieber mit SED Gewaltherrschaft und Stasi auseinandersetzen, anstatt Landräte zu verunglimpfen, zeigten später immer mehr Kollegen aus dem Kreistag ehrliches Interesse an der Erinnerungsarbeit, was dann zu dem Beschluss führte, ein Gutachten beim IZRG in Auftrag zu geben, das nach seiner Präsentation wiederum ein breites Presseecho auslöste.
Denn das Gutachten trägt salomonische Züge und lässt breiten politischen Interpretationsspielraum offen. Das allein macht aber nichts, denn dadurch wird die Debatte um so mehr angeregt und Kreistagsabgeordnete und bürgerliche Ausschussmitglieder kommen nun an eigener Positionierung nicht mehr vorbei. Widerstände trauen sich höchstens noch als formale Einwände hervor, z.B. von Mohl habe doch auch nach 45 viele Ehrungen und Auszeichnungen erhalten. Das mag manche besänftigen, aber für andere tun sich da ganz neue Abgründe auf.
Zum nächsten Beratungstermin werden auch Vertreter des Kreises Rendsburg/Eckernförde erwartet, in dem sowohl v. Mohl wie auch Walter Alnor* vor ihrer Amtszeit im Kreis Segeberg gewirkt hatten. Dort wurden, vorbehaltlich weiterer Maßnahmen, die NS-Landräte bereits aus der Ahnengallerie entfernt und in einer Nazi-Ecke separiert. Auch der Bürgermeister von Bad Segeberg beschäftigt sich erneut mit der Frage der Umbenennung der Waldemar von Mohl* Straße und bringt gleich einen weiteren Straßennahmen (Gustav-Frenssen*-Weg) ins Spiel.
Nachdem zunächst zaghaft, jetzt immer deutlicher im Segeberger Kreistag auch das Interesse nach den Biografien der anderen verblichenen Landräte auftaucht, deutet sich damit schon die nächste Phase der Debatte an, die sich nur vordergründig an der Kern-Behauptung des Gutachtens ableitet, v. Mohl sei kein alter Nazi-Kämpfer, sondern "nur" ein Nazi- Mitläufer allerdings ein williger Vollstrecke gewesen.
Wer in solchen Kategorie denkt, unterliegt der weit verbreiteten, aber gern genommenen Geschichtsklitterung, der Nationalsozialismus habe sich 1933 wie ein braunes Tuch über Deutschland gelegt, und sei 1945 von den Befreiermächten wieder weggezogen worden. Nur wer sich diesem Doppelirrtum hingibt, kann zu der falschen Frage kommen: Wer hat schon vor 33 mitgemacht, und wer erst nach 33 ?
Denn der Nationalsozialismus war vielmehr die Eskalation einer langen kontinuierlichen Vorgeschichte von Terrorregimen in Deutschland die zurückreicht bis zum Bauernlegen durch den Landadel, über die Massenmorde der klerikalen Inquisition bis zur preußischen Militärdiktatur zu der dann noch kapitalistische Ausbeutung und Weltmachtstreben hinzukam bis die imperialen Träume 1918 zunächst ihr jähes Ende fanden, was die Herrschenden als Bruch der Geschichte, als ungerecht und sogar als Verrat empfanden. Das auch den Menschen im Lande einzureden, war nicht schwer, waren diese doch seit Generationen zu Obrigkeitsgläubigkeit, Untertanentum und Duckmäuserei konditioniert. Die Dreifachstrategie der Herrschenden während der kurzen Republik von Weimar ging auf: viele Menschen konnten mit dem Traum von neuem Glanz und Gloria fasziniert werden, andere fielen auf braune, pseudosozialistische Leimruten herein und viele waren naiv genug, auf eine kommende, ganz neue Volksgemeinschaft ohne jeden Klassenkampf zu hoffen.
Als der - 1933 bereits braune - Kreis Segeberg von der Weimarer Republik in das III. Reich glitt, spielten zwei Protagonisten eine Rolle. Der eine war für Propaganda zuständig, der andere für die Vollstreckung der Verwaltung. Während der junge überzeugte Nationalsozialist Werner Stiehr* schon mit 25 Jahren NS-Kreisleiter geworden war, diente der erfahrene "preußische" Verwaltungsjurist v.Mohl nach Kaiserzeit und Weimarer Republik mit 47 Jahren bereits nahtlos dem dritten System. Beide hatten in Hinrich Lohse* den gleichen Chef, da dieser sowohl NS- Gauleiter wie auch Oberpräsident von Schleswig-Holstein war. Beide arbeiteten im Kreis Segeberg geschmeidig zusammen und beide blieben bis 1945 im Amt. Wer will also und warum beurteilen, welcher von beiden der Gute und wer der Böse war?
Obwohl der gute Wille der Gutachter, mit einer ausgewogenen Darstellung möglichst viele Menschen in die Diskussion mit einzubeziehen, nicht zur Rosinenpickerei aus dem Gutachten verleiten sollte, muss aber auch seine zweite Kern-Botschaft kritisiert werden dürfen: Mohl war zwar ein Vollstrecker, ein Scharfmacher war er aber nicht. Wer so formuliert oder so etwas nachplappert, muss sich nach seiner kommunalpolitischen Kompetenz fragen lassen. Denn Aufgabe eines Verwaltungschefs ist es heute wie damals zu vollstrecken, aber nicht politische Scharfmacherei zu betreiben. Im Gegenteil! Hätte v. Mohl das getan, wäre er in Konflikt mit NS-Kreisleiter Stiehr gekommen, denn das war dessen Geschäft.
Kritik bedarf auch die dritte Kernbotschaft des IZRG-Gutachtens, die Gerhard Hoch herabwürdigt. Ohne dessen primäre Forschungsarbeit, zusammengefasst in seinem Buch "Die Amtszeit des Segeberger Landrats Waldemar von Mohl 1932-1945" wäre v.Mohl nie mehr ein Thema geworden. Obwohl das IZRG höchstselbst Gerhard Hoch u.a. dafür die Ehrendoktorwürde verlieh, hat das IZRG Gutachten nun kleinlich periphere Ungenauigkeiten aufgezählt und zwar in einer Weise, dass manchmal der Eindruck entstehen konnte, Hoch - und nicht v.Mohl solle begutachtet werden. Warum hatten die Gutachter das nötig? Das fragt sich auch der Rendsburger Historiker Rolf Schwarz (http://www.akens.org/akens/texte/info/30/72.html), und äußerte sich jüngst in einer Stellungnahme ausführlich dazu.
Inzwischen beschäftigen sich die Historiker in Schleswig Holstein und auch unsere Landesregierung schon genau so intensiv mit der verpassten Entnazifizierung und Legendenbildung nach 45 wie mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft selbst. Das sollte eine weitere Phase auch der Debatte im Kreis Segeberg werden. Wer strickte hier an den Mythen über "die schwere Zeit"? Wer erwies dem ex-Landrat v. Mohl neue Ehrungen und Auszeichnungen? Warum wurde ein Walter Alnor* Landrat. Wer platzierte zusätzlich zur Galerie aller ex-Landräte die Ölgemälde von Mohl und Alnor im Landratsamt und nicht eins von Paul Pagel*? Und warum muss nach Jahrzehnten des Schweigens erst eine kleine neue Kreistagfraktion daherkommen, um Licht in die dunkelbraune Vergangenheit unseres Kreises Segeberg zu bringen?
Wie die aktuellen Aktivitäten zeigen, steht unser Kreis nicht allein und nicht nur das Land sondern auch andere Landkreise und Städte in Schleswig-Holstein rühren sich jetzt. Obwohl die Debatte erst ganz am Anfang steht, wird schon deutlich, dass genauso wenig, wie der Nationalsozialismus 1933 begonnen hätte, er 1945 zu Ende gewesen sei. Zwar gab es nach Kriegsende eine kurze Zeit von etwa 4 Jahren der Besinnung, als u.a. selbst die CSU in Bayern Großindustrie und die Banken vergesellschaften wollte, aber dann setzte eine Renaissance ein. Besonders in Schleswig-Holstein, in dem sich Nazis geradezu bündelten, seit das Restreich schon besetzt war und gefördert durch eine sehr hohe Zahl von Flüchtlingen bekam die Revanchistenpartei Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) einen ganz erheblichen Einfluss. In den erst 2009 entdeckten Tagebuch-Aufzeichnungen von Paul Pagel* beschreibt dieser sein politisches Umfeld an der Landesspitze als »eine Koalition aus SA, SS und NSDAP«.
Auch im Kreis Segeberg wirkte mit Walter Alnor ab 1950 wieder ein ex Nazi als Landrat. So begann nicht nur für unser Bundesland die - so Anke Spoorendonk - "zweite braune Phase" , die im Wesentlichen bis 1988 andauerte, sondern auch in unserem Kreis. Die weitere Debatte wird zeigen, ob sie heute endgültig überwunden ist.
. * s. Wikipedia