Die Politik muss beim Klimaschutz deutlich nachbessern, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. März 2021 über verschiedene Verfassungsbeschwerden zum Klimaschutzgesetz der Bundesregierung hat offengelegt, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen zum Klimaschutz in wesentlichen Punkten zu kurz greifen. Die Beschwerdeführenden hatten insbesondere geltend gemacht, der Staat habe mit dem Klimaschutzgesetz keine ausreichenden Regelungen zur zeitnahen Verminderung von Treibhausgasen geschaffen. Diese Reduzierung ist aber erforderlich, um die Erwärmung der Erde bei 1,5 °C oder wenigstens bei deutlich unter 2 °C anzuhalten. Das BVerfG hält zunächst fest, dass wegen der Gefahren des Klimawandels Schutzpflichten des Staates gegenüber deutschen Staatsbürgern bestehen. Diese ergeben sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und dem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG. Zudem verpflichtet die Umweltschutz-Staatszielbestimmung des Art. 20a GG den Staat bzw. die öffentlichen Einrichtungen zum Klimaschutz.
Aktuell sind Klimaschutzziele durch die Ziele des Pariser Übereinkommens konkretisiert, worin die Herstellung von Klimaneutralität durch CO2-Budgets völkerrechtlich verankert wurde. „Die verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle von deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C kann prinzipiell in ein globales CO2-Restbudget umgerechnet werden, das sich dann auf die Staaten verteilen lässt. Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat für verschiedene Temperaturschwellen und verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten aufgrund eines qualitätssichernden Verfahrens unter Offenlegung der verbleibenden Unsicherheit konkrete globale CO2-Restbudgets benannt. Auf dieser Grundlage hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen auch für Deutschland ein ab 2020 verbleibendes konkretes nationales Restbudget ermittelt, das mit dem Paris-Ziel vereinbar wäre.“
Die Verfassungsrichter verknüpfen die derzeitige einseitige Beanspruchung des CO2-Budgets mit dem Grundrecht auf Freiheit auch zukünftiger Generationen. „Zwar müsste CO2-relevanter Freiheitsgebrauch, um den Klimawandel anzuhalten, ohnehin irgendwann im Wesentlichen unterbunden werden, weil sich die Erderwärmung nur stoppen lässt, wenn die anthropogene CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nicht mehr weiter steigt. Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.“ Folglich kann in der Logik der Verfassungsrichter nicht einer Generation zugestanden werden, unter nur geringer Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets aufzubrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast übertragen wäre.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist auch für die Stadt Norderstedt relevant. Die Folgen des Klimawandels sind auch bei uns immer deutlicher spürbar. Im ganzen Stadtgebiet sind durch die Dürreperioden in den letzten drei Jahre etliche Bäume nicht mehr zu retten, auch der Zustand der Wälder in Norderstedt leidet unter dem Klimawandel. Das Artensterben nimmt bedenklich zu. Die natürlichen Lebensräume werden in Norderstedt immer weiter zurückgedrängt, so dass viele heimische Arten in ihren Beständen zurückgehen. Wenn Teiche im Sommer umkippen, unsere Bäche fast austrocknen und Freiflächen überbaut werden, finden Insekten, Amphibien, Reptilien sowie die Vogelwelt kaum noch die benötigten Lebensräume. Auch die Menschen in Norderstedt bekommen die Auswirkungen des Klimawandels immer stärker zu spüren, z.B. in Form von Starkregen, Stürmen und extremer Hitze. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung ist die Norderstedter Kommunalpolitik aufgerufen, zeitnah Maßnahmen zum Klimaschutz auf den Weg zu bringen.
Nachdem auf Bundesebene zum Jahreswechsel 2020/2021 auch weiterhin erkennbar war, dass Klima-Gesetze und Aktivitäten – sei es die Novelle des EEG oder die CO2-Bepreisung, Wirtschaftsförderung primär von Technologien zum Klimaschutz u.v.m. - weiterhin dem Grundsatz folgen, den aktuellen Playern im Markt nicht allzu große Mühen und Kosten aufzubürden, hat sich der Ortsverband DIE LiNKE in Norderstedt an die Arbeit gemacht, Klimaschutz wenigstens auf kommunaler Ebene unter Hochdruck voranzutreiben. Ziel dabei ist es, unter vollständiger Ausschöpfung gesetzlicher Grenzen ein Zeichen der Willensstärke zu setzen und andere Kommunen zu motivieren, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Wir wollen, dass Norderstedt klimaneutral bis 2030 ist! Das ursprünglich gesetzte Ziel von 2040 erscheint uns erheblich zu spät, da auf Bundes- und EU-Ebene wertvolle Zeitpuffer einfach verschwendet wurden. Eine vollständige Energiewende ist lt. Expertenmeinung innerhalb von 10 Jahren machbar. Begreifen wir diesen Schritt also nicht als Kostenfaktor, der den Haushalt auffressen könnte, sondern als Schritt in eine neue Wirtschaftswirklichkeit und in eine Arbeitsmarktentwicklung in Richtung einer von Nachhaltigkeit geprägten Arbeitswelt.
Wir sind sicher, dass unsere Forderungen umsetzbar sind und das Tempo rein vom Willen bestimmt wird. Statt einer Idee, wollen wir in Sachen Klimaschutz voraus sein.
Unsere Vorschläge für einen Klimaschutz-Aktions der Stadt Norderstedt:
I.1 – Einführung eines Klimaschutzamtes
Aktuell sind die Klimaschutzaufgaben auf verschiedene Ämter und Gesellschaften verteilt. Um eine maximale Effizienz und eine primäre Fokussierung auf besonders wirksame Klimaschutzmaßnahmen erreichen zu können, ist eine übergreifende Koordination sinnvoll. Die Aufgaben dieses Klimaschutzamtes sehen wir in:
Wir schlagen die Einführung dieses Amts als eigenständiges Amt 80 vor, ggf. mit Unterstellung in das Dezernat III, mit Besetzung einer Leitung bis zum Jahreswechsel 2021/2022.
I.2 – Einrichtung eines ständigen Klimabeirates
Einrichtung eines Klimaschutzbeirates, bestehend aus Vertretern von Politik, Verwaltung und ggf. weiteren Akteuren, zwecks Begleitung der Entwicklung und Umsetzung des Klimaschutz-Aktionsplans.
I.3 – CO2 Quellen- und Verursacherbilanz
Begleitend zu den Maßnahmen zum Klimaschutz ist das CO2-Budget sachgerecht zu bilanzieren. Hierfür stehen die Instrumente der Quellenbilanz sowie der Verbraucherbilanz zur Verfügung. Die Verursacherbilanz bezieht sich auf den Endenergieverbrauch von umgewandelten Primärenergieträgern wie zum Beispiel Wärme oder Strom und hat dadurch einen direkten Bezug zum Verbrauchsverhalten von Wirtschaft und privaten Haushalten. Mit einer Verbraucherbilanz für Norderstedt sollen zukünftig Faktoren zu Klimaschutzmaßnahmen nachvollziehbar abbildet werden. Auf dieser Basis können fortlaufend Nachkorrekturen erfolgen, um langfristig die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen.
I.4 - Bewusstseinsbildung / Klimabildung
Die Stadt Norderstedt (bzw. das neue Klimaschutzamt) fördert, koordiniert und vernetzt Klimaschutz-Aktivitäten in Bildungseinrichtungen und initiiert auch eigene Projekte und Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung für den Klimaschutz. Hierzu werden regelmäßig Klimaschutz-Tage zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen organisiert und durchgeführt.
Die Stadt Norderstedt unterstützt die Entwicklung nachhaltiger Bildungsangebote als Möglichkeit, Menschen für den Klimaschutz zu sensibilisieren. Die lokalen Initiativen und Verbände zum Klimaschutz sollen durch konkrete Aktivitäten und Maßnahmen der Stadt gestärkt, koordiniert und vernetzt werden.
I.5 – Kompetenzzentrum „Erneuerbare Energie“
Ausbau der Rolle der Stadtwerke als Energiedienstleister: Entwicklung und Koordinierung einer Versorgung mit 100% erneuerbaren Energien für alle Energiebereiche (Strom, Wärme, Mobilität). Zu diesem Zweck:
I.6 – Klimaneutrales „Rathaus“
Alle Einrichtungen der Stadt Norderstedt wie auch der städtischen Eigenbetriebe müssen auf den Prüfstand der schnellstmöglichen „Klimaneutralität“. Städtische Einrichtungen mit besonderer Relevanz für das Thema Ressourcenverbrauch/Klimaeinfluss (z.B. Freizeitbad Arriba, erdgasbetriebene BHKWs, u.a.) sind daraufhin zu untersuchen, ob und wie das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden kann. Hierzu ist ein Konzept zum „klimaneutralen Rathaus“ zu erarbeiten, dass sämtliche klimarelevante Einrichtungen der Stadt sowie der städtischen Gesellschaften umfasst. Schwerpunkte sind:
I.7 – Energie sparen!
II.1 - Einführung des 1-Euro-Stadttickets!
Zur Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) soll mit dem Fahrplanwechsel 2022/23 ein Stadtticket für alle Angebote des ÖPNV im Norderstedter Stadtgebiet eingeführt werden, das für 1€/Tag oder 365€/Jahr erhältlich ist. Schüler*innen und Inhaber*innen des Norderstedter Sozialpasses sollen das Stadtticket kostenlos erhalten.
II. 2 – 10-Minuten-Takt als Regel, 30-Minuten-Takt nach Pinneberg und Bad Segeberg
II.3 – Ausbau der E-Mobilität
II.4 – Ausbau des Fahrradverleih- und Dauerleihsystems
II.5 – Priorisierung des Fuß- und Radverkehrs
Wo immer rechtlich möglich, soll dem Fuß- und Radverkehr, sowie ggf. dem ÖPNV bei Planung, Bau und Umbau von Verkehrswegen künftig Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden, der für einen großen Teil der CO2-Emissionen in Norderstedt verantwortlich ist. Konkrete Maßnahmen:
III.1 - Klimaneutrales Bauen
DIE LINKE fordert den maximal machbaren Verzicht auf Baustoffe, die klimaschädlich sind (Beton, Stahl, Glas) oder einen inakzeptablen ökologischen Fußabdruck hinterlassen (Sand, Tropen- und Urwaldhölzer etc.). Stattdessen sollen in größtmöglichem Umfang klima- und umweltfreundliche Baustoffe wie einheimisches Holz, Hanf oder recycelte Baustoffe (z.B. aus „Urban Mining“) genutzt werden.
III.2 – Einführung einer Lichtschutzsatzung
III.3 – Nachhaltiger Umgang mit Regenwasser
Klimaschutz erfordert einen nachhaltigen Umgang mit dem anfallenden Regenwasser. Regenwasser ist generell zur Erneuerung des Grundwassers zu verwenden. Eine Ableitung des Niederschlagswasser über versiegelte Flächen und die Einleitung in die städtische Kanalisation ist möglichst zu vermeiden. Der geplante Generalentwässerungsplan sollte hierzu konkrete Vorgaben entwickeln. Als Anreiz zur Vermeidung von negativen Folgeerscheinungen der Bodenversiegelung ist eine versiegelungsabhängige Regenwassergebühr zu entwickeln. Diese soll dem Ziel folgen, eine Entsiegelung von Flächen wie auch eine Versickerung von Regenwasser auf den Grundstücken zu erreichen.
III.4 – Überarbeitung der Baumschutzsatzung
Zur Sicherung und Entwicklung des Baumbestandes in der Stadt Norderstedt ist die derzeit gültige Baumschutzsatzung im Hinblick auf nachhaltigen Baumschutz zu überarbeiten. Dazu ist eine Orientierung an der Muster- Baumschutzsatzung des deutschen Städte- und Gemeindebundes hilfreich. Verbesserungspotenziale sind insbesondere bei den schützenswerten Baumarten, der Baumgröße, wie auch der Ausgleichserfordernis zu sehen. Auch sollten mögliche Beeinträchtigungen der Bäume durch Astschnitte oder Versiegelung der Baumscheiben zum besseren Baumschutz thematisiert werden.
III.5 – Moore und Naturwälder als CO2-Senke
Die Stadt Norderstedt kann durch den Erhalt intakter Moorflächen und die Renaturierung entwässerter Moorgebiete und auch durch den Erhalt und Ausbau des Baumbestandes zum Erhalt der natürlichen Ressourcen als Kohlenstoffsenken beitragen. Auch der Erhalt von Knicks und deren Überhälter (große Bäume, i.d.R. Eichen) sowie der Ersatz von entfallenden Knickgehölzen trägt zu einer positiven Knickbilanz und damit zum Klimaschutz bei. Weitere Punkte:
III.6 – Verbindendes Freiraumkonzept zur Minderung nachteiliger Klimaeffekte
Städtische Gebiete speichern die Wärme durch Bauwerke und Versiegelungen. Gleichzeitig führen die spärlichen Vegetationsflächen zu einem spürbaren Feuchtigkeitsdefizit. Tendenziell nehmen dadurch Hitze und Trockenheit im Sommer im Stadtgebiet zu. Besonders alte Menschen, aber auch Kinder und Kranke haben bei großer Hitze Probleme. Diese Effekte treten vornehmlich bei verdichteter Wohnbebauung auf. l Ein Freiraumkonzept mit durchgehenden Grünstrukturen, die den Innenbereich mit dem Außenbereich verbinden, können hier positive stadtklimatische Wirkungen entfalten. Dazu zählen Grünzüge, die vorwiegend Erholungsfunktion für die Bevölkerung besitzen, aber auch lokalklimatische Ausgleichsfunktionen haben, sowie Grünachsen als Zugänge in die freie Landschaft. Hierzu zählen:
III.7 – Mehr Landschafts- und Naturschutzgebiete sowie Schaffung von Wildnis
Um die Biodiversität und die Vegetationsbestände als CO2-Senke zu erhalten und weiterzuentwickeln, ist es unverzichtbar, in Norderstedt wieder mehr und großflächiger Wildnis entstehen zu lassen. Bundesweit ist dafür ein sogenanntes „spezifisches Wildnisziel“ definiert, nach dem sich auf mindestens zwei Prozent der Fläche die Natur wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln soll. Das betrifft in Norderstedt insbesondere Wälder, Niederungsgebiete an Fließgewässern sowie Moore. In diesem Sinne möge die Stadt Norderstedt
DIE LINKE Norderstedt, 16. Juni 2021