13. Februar 2018

Chaos für Stillstand

Eigentlich war alles klar. 19 Wochen nach der Bundestagswahl gibt es einen Koalitionsvertrag, die „Alten" wollten die „Neuen" werden, alle Zeichen deuteten auf ein „Weiter-So". Gleich nach dem Mitgliederentscheid der SPD sollte es losgehen. Sollten stabile Verhältnisse geschaffen werden, weil alles andere, Minderheitsregierung oder Neuwahlen, angeblich gleichbedeutend wäre mit Chaos. Und jetzt? Jetzt haben wir Beides: Aussicht auf eine „stabile" Regierung und Chaos. Ein Kommentar von Luca Maarten Schult und Herrmann von Prüssing.


„Tabula Rasa", (reiner Tisch) wäre ein passender Titel für ein solches Stück. Da ist zunächst die SPD mit ihrem absurden Helden Martin Schulz. Er wollte in keine Koalition, in keine Regierung, er wollte die Partei verjüngen und erneuern - gekommen um zu bleiben. Nichts hatte Bestand! Als er schließlich verkündete, er wolle Außenminister werden und Andrea Nahles würde den Parteivorsitz übernehmen, war es wohl ein Wortbruch zu viel. Dabei ist es gar nicht so sehr das Ministeramt - die Übergabe des Parteivorsitzes ist das wirklich Ungeheuerliche! Dass ein Parteivorsitz übergeben wird, und nicht von einem Parteitag bestimmt, ist neu – allerdings auch entschieden undemokratisch. Erneuerung sieht anders aus. Ob Frau Nahles dieses Spiel nur mitgemacht oder mit erdacht hat, spielt da kaum mehr eine Rolle, beschädigt ist ihr Ansehen allemal. Ihr politisches Überleben hängt wohl nur noch von der Leidensfähigkeit der SPD und ihrem verbliebenen Spitzenpersonal ab. Auch dass Sigmar Gabriel noch dazugehören wird, ist wohl ausgeschlossen. Als einfacher Kollateralschaden von Schulz/Nahles wäre es wohl noch gegangen, sein anschließendes Kleinkindgebaren ist aber nicht so gut angekommen. Es wird also dünn an der Spitze der SPD. Chaotischer Aufruhr birgt keine guten Aussichten für den Mitgliederentscheid. Von einer möglichen GroKo ganz zu schweigen.

Nahezu durchschaubar das Spiel der CDU, bzw. das von Angela Merkel. Um mit der längsten Kanzlerschaft in die Geschichte einzugehen, schenkt sie fast alles her. Fast, weil Inhalte nicht herzuschenken waren, es gab da nie welche und über Nacht sind keine entstanden. Für ihre Kanzlerschaft bekommt die SPD alle bedeutenden Ministerien. Und warum auch nicht? In den letzten zwölf Jahren hat die Kanzlerin es auch geschafft, alle Erfolge einer Regierung für sich zu verbuchen, alle Misserfolge gemeinsam auszusitzen und ansonsten einfach bei öffentlichen Auftritten gut auszusehen. Das hat bei der letzten Wahl immer noch gereicht stärkste Kraft zu werden und wie sollten die SPD-Mitglieder dieses Angebot ablehnen? Nahezu billig kauft sie da die CSU. Für das honorige Altenteil von Horst Seehofer bekommt Sie vorrangig das Innenministerium. Und weil das für nationalistisches Gepolter nicht reicht noch ein angegliedertes Heimatministerium – eine leere Hülle zur Reanimation der leidigen Leidkultur. Hier kann die CSU mit nationalistischen Sprechblasen mit der AfD um Stimmen am rechten Rand poltern. In den verbliebenen Ministerien bringt Angela Merkel ihre Nachfolgerinnen in Position und erweist sich hier als kühle Machtpolitikerin. Kein "nach mir die Sintflut", eher ein "nach mir weiter Stillstand".

Dabei ist es wohl weniger dieser Stillstand, der die CDU-Mitglieder stört. Das Rumoren in der Partei über ein mangelndes Profil ist nicht neu. Aus dem Ärger über die Ergebnisse der Koalitionsgespräche und die ausgehandelten Ministerien ist jetzt allerdings fast so etwas, wie Aufruhr entstanden. Dass dabei kein Umsturz stattfindet, passt zwar zur CDU. Allerdings schafft die offene Kritik an der Parteivorsitzenden nicht gerade Vertrauen in die nächste GroKo. Stabilität sieht anders aus.

Das könnte uns LINKEN egal, bzw. gerade Recht sein. Aber ein hämisches „selber Schuld" greift hier entschieden zu kurz! Es geht immerhin nicht nur um Parteien oder Personen und um ein der Demokratie unwürdiges Schauspiel, gleich wie unterhaltsam es sein mag. Es geht darum, dass die wirklich wichtigen Themen, die uns alle betreffen und die unsere Zukunft bestimmen, endlich angefasst werden: Rente, Altersarmut, Umweltschutz, Löhne, bezahlbare Wohnungen, Bildung, wachsende Ungleichheit – 20 Jahre Stillstand und Rückschritte haben eine lange Liste erzeugt. Sie weiter nicht konsequent anzufassen, von ihnen durch „Flüchtlingsdebatten", Sonntagsreden und Absichtserklärungen abzulenken, hilft nur, sie zu verschärfen. Eigentlich sollte eine stabile Regierung die Gefahr von rechts eindämmen. Das jetzige Chaos stärkt sie eher. Denn die Geschichte lehrt, dass der Streit um Posten und Personalien nur die Rechten unbeschadet überstehen. Darum ist die Aussicht auf vier weitere Jahre GroKo, auf vier weitere Jahre Stillstand und „Weiter-So" nichts, was einen optimistisch stimmen kann, auch und besonders nicht uns LINKE.


Autor Luca Maarten Schultz (Foto oben) ist 19 Jahre alt, bürgerliches Mitglied der Norderstedter LINKEN-Fraktion und arbeitet derzeit am Wahlprogramm seiner Partei zur Kommunalwahl mit.

Den Kommentar verfasste er zusammen mit Herrmann von Prüssing (unten), ebenfalls bürgerliches Fraktionsmitglied und Vorstandsmitglied der Norderstedter LINKEN.