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von Franz Hagelstein (Kaltenkirchen)
Was für die Vätergeneration noch die Ausnahme war, wird heute immer mehr zur Normalität: Gebrochene Lebensläufe! Mit dieser freundlichen Umschreibung sind Arbeitszeiten und ihre Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit gemeint.Nun könnte man diese Zeiten ohne Beschäftigung trefflich dazu nutzen sich einerseits um eine neue Beschäftigung zu bemühen – wenn denn ausreichend adäquate Stellen angeboten werden – oder sein Arbeitsleben neu auszurichten, sprich: sich zu qualifizieren.
Dazu braucht man ausreichend finanzielle Mittel. Und die fehlen zumeist. Also bietet die Bundesagentur für Arbeit zu eben diesem Zweck vielfältige Möglichkeiten der Qualifikation an. Doch aufgepasst! Förderung durch die Agentur für Arbeit erfährt nur, wer gering oder gar nicht qualifiziert ist, oder wer als Langzeitarbeitsloser registriert ist.
In der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sitzen Menschen, die Arbeitslosenstatistiken auswerten. Sie versuchen anhand einer Flut von Daten herauszufinden, welche Wissens- und/oder Qualifikationslücken bei den Menschen ohne Arbeit geschlossen werden müssen, um sie wieder in Lohn und Brot zu bringen. Daraus entstehen viele mehr oder minder große Zielgruppen, für die jeweils ein Qualifizierungsprogramm geschrieben wird.
Nun führt die Bundesagentur für Arbeit diese Programme – auch Maßnahmen genannt – nicht selber durch. So werden in bundesweiten Ausschreibungen unzählige regionale Maßnahmen publiziert. Allein auf eine solche Ausschreibung bewirbt sich eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Trägern. Und je mehr Bewerbungen ein Träger abgibt, umso größer die Chance, dass er den einen oder anderen Zuschlag erhält. Es muss ein lohnendes Geschäft sein, denn die Bewerber stürzen sich in einen ruinösen Bieterwettbewerb um die begehrten Lose. Den Zuschlag zur Durchführung einer Maßnahme erhält – wen wundert es – der günstigste Anbieter.
Nun werden im Sinne der Gleichbehandlung aller Interessenten die Maßnahmen zeitlich begrenzt und immer wieder auf‘s neue ausgeschrieben. Die ruinöse Preisspirale nach unten wird weiter angeheizt und die Gewinnmargen für die Träger immer dürftiger. Gleichzeitig wandert eine Maßnahme von Träger zu Träger und das hat verheerende Folgen:
In der Verwaltung werden die Aufgaben überwiegend von Frauen wahrgenommen. Die Gehälter sind eher dürftig. Die Arbeitsbelastung durch Mehrarbeit und der Krankenstand hoch. Das wiederum führt zu einer vergleichsweise hohen Fluktuation.
Dozenten und Referenten arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen. Sie erhalten ihre Einsatzpläne von Woche zu Woche. Kann ein Dozent einen Teil der zu vermittelnden Inhalte nicht oder nur unzureichend abdecken, wird er in der Regel durch einen Kollegen ersetzt. Der ersetzende Kollege wiederum hinterlässt an anderer Stelle eine Lücke, die es zu schließen gilt. Aus diesen permanenten Verschiebungen entsteht ein Dozentenkarussell. Dozenten wechseln so häufig Einsatzort und Träger. Laufen Maßnahmen aus oder brechen Einsätze weg, besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Betroffenen sind dann gezwungen Arbeitslosengeld II zu beantragen. Über mögliche Folgen wie z.B. Altersarmut sei an dieser Stelle nur kurz hingewiesen.
Die Veranstaltungsorte liegen überwiegend verkehrsgünstig und sind mit Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs zu erreichen. Der Zugang zu den Gebäuden hingegen ist selten behindertengerecht gestaltet. Die eigentlichen Räumlichkeiten liegen – weil sie kurzfristig verfügbar und kostengünstig sind – in den oberen Stockwerken älterer Bürogebäude und sind selten mit einem Fahrstuhl zu erreichen.
Die Ausstattung der Räume kann als spartanisch-funktional bezeichnet werden. Große Tische, Bürostühle und meist ein in die Jahre gekommener Laptop mit ebenso aktueller Software je Maßnahmeteilnehmer.
Ein Flipchart, manchmal eine Tafel, selten ein Beamer oder eine Moderationswand mit den erforderlichen Mitteln runden das Bild ab.
Dozenten, die ihre Vorbereitung an den Vorgaben der Qualifizierungspläne ausgerichtet haben, sehen erwartungsfroh einer mehr oder minder motivierten Ansammlung von Teilnehmern entgegen.
Was in Nürnberg am Schreibtisch so klug ausgedacht wurde, trifft nicht unbedingt die Wirklichkeit vor Ort. Hier kommen Menschen von den unterschiedlichsten Horizonten zusammen und werden in einen Topf geworfen. Ob Menschen mit körperlichen oder seelischen Behinderungen, keiner bis hin zu einer akademischen Ausbildung, mit Migrationshintergrund und unterschiedlichem Sprachniveau, einem Altersspektrum von 18 bis 64 Jahren … sie alle sollen in gleichem Maße und gemeinsam qualifiziert werden.
Die ausführenden Träger freuen sich über jeden Teilnehmer an der Maßnahme. Er spült bares Geld in die ohnehin knapp kalkulierten Kassen. Die Jobcenter freuen sich über bereinigte Statistiken. Die Betroffenen freuen sich weniger. Ihnen wird die Sinnhaftigkeit zu keinem Zeitpunkt deutlich. Die Programminhalte treffen nur zu selten ihre Erwartungen und Ansprüche. Spätestens hier wird das Dilemma deutlich! Die ursprünglich definierte Zielgruppe wird nicht erreicht, weil wirtschaftliche Interessen die Nürnberger Vorgaben verwässern.
Stellt sich die Frage nach einer effizienteren Durchführung. Die Planungen aus Nürnberg sind nicht zu beanstanden, wenn in der Folge einige Aspekte grundlegend geändert werden:
Antwort eines Trägers: „Aber das versuchen wir doch schon!“ – Eben! Versuchen! Das reicht nicht!