5. Juli 2020

Videoüberwachung von Pfandsammlern? AfD offenbart Gesinnung

Stadtvertreterin Christine Bilger (Foto: DIE LINKE).

In seiner Sitzung vom 17. Juni hat der Norderstedter Umweltausschuss einen Antrag des Kinder- und Jugendbeirats beraten, Norderstedts öffentliche Mülleimer mit sogenannten "Pfandringen" auszustatten. Christian Waldheim, Fraktionsvorsitzender der AfD in Norderstedt, schlug in diesem Zusammenhang vor, einen entsprechend ausgestatteten Mülleimer an exponierter Stelle mit Videokameras zu überwachen.

Seine Annahme: man könne so anhand der Aufzeichnungen erkennen, ob die Anbringung von Pfandringen zur Vermüllung und Vandalismus mit den eingestellten Flaschen führe, bzw. davon abschrecken. Christine Bilger, Vertreterin der LINKEN im Umweltausschuss, im Anschluss an die Sitzung: "Für Herrn Waldheim scheint es völlig legitim zu sein, ein beliebiges, unterstelltes Verhalten in der Gesellschaft zum Anlass der Videoüberwachung zu nehmen - abgesehen von geltenden Rechtsgrundlagen zur Videoüberwachung in öffentlichen Räumen. Freiheit und Wahrung der Würde auch in öffentlichen Räumen ist ganz offenbar kein schützenswertes Gut für ihn und die AfD." Schon während der Sitzung hatte sich Bilger deutlich gegen den Vorschlag der AfD positioniert: "Nicht zuletzt ist es für Herrn Waldheim offenbar auch völlig legitim, die ärmsten unserer Gesellschaft beim Sammeln unserer aus Müll bestehenden "Almosen" filmen zu wollen. Niederträchtiger und herablassender geht es kaum!"

PFANDRINGE FÜR NORDERSTEDTS MÜLLEIMER? DER UMWELTAUSSCHUSS LEHNT AB

Mit seinem Antrag war der Kinder- und Jugendbeirat einer Idee gefolgt, die während des alljährlichen "Planspiels Politik" in Norderstedts Schulen aufgekommen war. Im Verlauf des Planspiels hatten Jugendliche unter anderem einen Antrag auf Anbringung von Pfandringen an Norderstedts Mülleimern konzipiert. Tapfer verteidigten die beiden anwesenden Beiratsmitglieder die Originalfassung des Antrags als "demokratisch so abgestimmt", Änderungsanträge wollte man daher nicht übernehmen. Für Christine Bilger entwickelte sich in der Folge allerdings eine "überraschend beschämende" Diskussion: "Wir lehnen Pfandringe aus sozialen und ethischen Gründen sowieso ab. Aber hier wurde auf einem Niveau diskutiert, das sich vorrangig mit der Frage befasste, ob Pfandringe die Gefahr von einer Vermüllung der Stadt und das Risiko von Vandalismus und Körperverletzung durch eingestellte Flaschen erhöhen! Ich schäme mich für die anderen Ausschussmitglieder!", erbost sich Bilger. Am Ende wurden der Urantrag des Beirats und sämtliche Änderungsanträge mehrheitlich abgelehn - auch ihrer Intervention wegen.

ERNIEDRIGENDE DISKUSSION FÜR VON ARMUT BETROFFENE

Was als nüchterne Betrachtung von Nutzen und Konsequenzen abgehandelt wurde, entpuppt sich bei weiterer Betrachtung als wahrhaft erniedrigend! Und zwar für diejenigen, denen man andererseits die "Güte" zubilligt, wenigstens dann ja nicht mehr im unhygienischen Müll nach Pfandgut wühlen zu müssen, wenn Pfandringe die Flaschen außerhalb der Müllbehälter bereit hielten. Dass hier symbolisch-symptomatisch mit Armut "umgegangen" wird, anstatt sich mit Lösungen zu beschäftigen und Armut zu bekämpfen, schien vor dem Veto von Bilger niemand auf dem Zettel zu haben. Aber selbst ihr starkes Plädoyer an die Mitglieder des Ausschusses und zuvorderst an den Kinder- und Jugendberat, statt Almosen aus Müll lieber Statements gegen Armut-mit-System an Mülleimern anzubringen, habe nicht zur Veränderung der Diskussion geführt.

Zwar gaben einige Ausschussmitglieder zu, es aus diesem Blickwinkel noch nie gesehen zu haben, aber das einzig offizielle Statement kam von der AfD: man könne ja wohl kaum in Norderstedt etwas an der prekären Einkommenssituation und der Altersarmut tun.

"Oh doch, man kann!", sagt Bilger mit Nachdruck. Neben klaren Statements, die viral gehen könnten, z.B. übergroße Montagen an Mülleimern mit klaren Botschaften an die Bundesregierung, ließen sich viele Dinge auch ganz konkret kommunal tun. Bilger: "Der einst von uns LINKEN initiierte Norderstedter Sozialpass ist ein Beispiel oder auch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum - und vieles andere mehr. Stattdessen unterhalten wir uns darüber, ob Müll-Almosen zur Vermüllung der Stadt führen könnten. Unfassbar!"

Der Pfandring-Wahnsinn gipfelte in der nachfolgenden Stadtvertreterversammlung, als ein Bürger in der Einwohnerfragestunde die erneute Aufnahme der Diskussion wünschte und dies mit einem Schenkungsangebot eines Pfandrings unterstrich. Aus Reihen der Grünen kam ein weiteres Angebot. Erst die Vorrechnung, wie viele Pfandflaschen eingestellt werden müssten, damit alleine der finanzielle Aufwand eines Pfandrings in Flaschen-Werten wieder eingesammelt werden könnte, brachte ein Nachdenken. Spenden lassen sich wahrlich besser und wirksamer einsetzen!

Fazit Christine Bilger: "Für uns sind Pfandringe keine Lösung, sondern ein zynischer Blick auf die Armutsfrage! Auch das 25jährige Jubiläum der "Tafeln" sind für uns kein Grund zum Feiern, ganz im Gegenteil: Armut ist politsch abstellbar und gehört deshalb auch abgestellt! Erst recht in der Corona-Krise zeigt sich, dass weder unsere Gesellschaft noch unser Wirtschaftssystem armutsfest oder krisensicher ist - mehr Leute denn je sind auf Lebensmittelspenden angewiesen. 25 Jahre Tafel? Es wird höchste Zeit, Armut effizient abzustellen. Und das nicht nur hier, sondern weltweit!"


Hier und hier noch zwei Beispiele aus der Praxis.