6. November 2014 Heinz-Michael Kittler

Kreistagsrede zum Fall Herbst

Heinz-Michael Kittler

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie so aktiv an den Beratungen zu diesem komplexen Fall teilgenommen haben, mit dem Sie die linke Kreistagsfraktion ja zusätzlich zum Tagesgeschäft konfrontiert hat. Ich meine ganz besonders auch die Kolleginnen und Kollegen, die bisher eine andere Auffassung als wir vertreten haben. Haben doch gerade Sie die Spannung erzeugt, die zu der ungewöhnlich großen Dynamik und dem guten Presseecho geführt haben, das uns jetzt begleitet.

Unser Antrag steht:

Die Kreisverwaltung wird aufgefordert, diesen Fall aus heutiger Sicht neu zu bewerten, Frau Dr. Herbst zu rehabilitieren und sich mit ihr einvernehmlich bis spätestens 21.12.2014 über eine Entschädigung zu verständigen, die ihre Beschäftigungslosigkeit von Kündigung bis Pensionseintrittsalter ausgleicht. Ich sag ihnen gern, was wir mit bewerten meinen: Was ist gewichtiger? Die formale Rechtskraft eines Arbeitsgerichtsurteils oder der große Dienst, den Frau Dr. Herbst bei der Eindämmung der BSE-Gefahr geleistet hat.

Nun hat ein Kollege hier auf seiner Parteihomepage bemerkt, es gäbe in diesem Fall gar nichts wirklich Neues. Das ist wohl wahr, aber meine Fraktion meint, es war von Anfang an nicht gut, was da gelaufen ist.

Aber halten wir uns an die Fakten:

Eine bis dahin seit 13 Jahren beim Kreis Segeberg beschäftigte Veterinärin meldet erstmalig 1990 BSE Auffälligkeiten bei Rindern. Ihre Vorgesetzten reagieren abwehrend oder nur zögerlich. Kurz nach einem Konflikt über 4 aufeinander folgende Verdachtsfälle im Februar 1992 lädt der Landrat im März zum Gespräch, mit Personalchef aber ohne Personalrat.

Weitreichende schriftliche Vollmachten will er ihr gegeben haben bis hin zur Amtstierarztfunktion. In der Hierarchiekette seien alle anderen Amtstierärzte mündlich und schriftlich ausführlich darüber informiert worden und auch angewiesen, Frau Dr. Herbst zu unterstützen.

Das ist schwer nachzuvollziehen. Erstens existiert nicht ein einziges Dokument, zweitens hätte sich dann ein möglicher Konflikt mit Frau Dr. Herbst sofort in Luft aufgelöst, drittens wären dann nach den histologisch nicht eindeutigen Befunden die von Frau Dr, Herbst geforderten weitergehenden Untersuchungen erfolgt.

Frau Dr. Herbst hatte fast immer die Lebendbeschau durchgeführt und wurde vom Landrat gar als BSE-Spezialistin dafür bezeichnet. Nur am lebenden Tier sind klinische Auffälligkeiten sichtbar. Aber auch nach dem Gespräch wird sie von ihrem Vorgesetzten überwiegend am Band eingesetzt, trotz einer Schwerbehinderung wird das Arbeitspensum noch verdichtet. Nur gelegentlich kann sie noch bei kurzen Einsätzen im Stall Auffälligkeiten feststellen.

Bei einigen, wenigen eingesandten Proben, wurden zwar entweder keine oder keine eindeutigen BSE Hinweise bestätigt, aber das durch Bolzenschuss beschädigte Material bemängelt,. Stand der Technik waren damals schon weitergehende Untersuchungen. Obwohl von Frau Dr. Herbst gefordert und auch von der Landwirtschaftsorganisation der UN empfohlen, wurden sie nicht durchgeführt.

Durch die schwere Arbeit am Band erkrankt sie immer häufiger. Ein Brief an den Landrat bleibt unbeantwortet. Anrufversuche scheitern. Im Sommer 1994 äußern sich mehrere Veterinärskollegen in der Presse über die Zustände im Schlachthof. Es folgt eine Razzia durch das Landwirtschaftsministerium und die Staatsanwaltschaft. Den unappetitlichen Bericht darüber kennen wir ja. Der Kreis muss zu diversen Vorwürfen an den Minister Stellung nehmen. Beim Thema BSE-Befunde übernimmt er in seiner Stellungnahme an den Minister nicht jeweils "keine"- oder "keine eindeutigen Hinweise auf BSE" aus den Befunden von Professor Pohlenz, erwähnt auch nicht die Bemängelung des Materials, sondern schreibt "Befund negativ". Das Landwirtschaftsministerium macht dann daraus in seinem Bericht vom 5. Oktober 1994: "eindeutig negativ".

Dafür hatte es sich eine eigene Semantik entwickelt, bzw. vom Bundeslandwirtschaftsminister übernommen, nämlich dass vom Vorliegen eines BSE-Verdachtes erst dann gesprochen werden dürfe, wenn es bei der histopathologischen Untersuchung zu eindeutigen Hinweisen auf BSE gekommen ist.

Als bekannt wurde, dass ein Lieferant des Schlachthofes illegal aus England Rinder importiert hatte, wo damals schon über 140.000 BSE Fälle öffentlich waren, sprach Frau Dr. Herbst schließlich in einem Interview von insgesamt 21 Verdachtsfällen im Schlachthof Bad Bramstedt. Die Ausstrahlung erfolgte dann im Rahmen einer Themensendung zu BSE am 16. November 1994. Die Kündigung datierte einen Monat später am 16. Dezember und nannte als Kündigungsgrund eben diese Sendung wo sie sich des Bruches der Verschwiegenheitspflicht schuldig gemacht habe. Interessanterweise hatte bei dieser Sendung Wilhelm Niemeyer von der Aktionsgemeinschaft Fleisch bereits die Kündigung der Veterinärin bekanntgegeben. Ob nun einer meiner Kollegen mit seiner Komplott Theorie Recht hat oder nicht - Zumindest war der Kreis auch nicht gerade verschwiegen wie ein Grab, wenn die Kündigung einer Fleischkontrolleurin schon vor dem Entstehen des Kündigungsgrundes der Fleisch-Lobby bekannt ist.

Hierzu schrieb auch das Oberlandesgericht in der Auseinandersetzung Schlachthof gegen Dr. Herbst, dass sich der Verdacht aufdrängen kann, dass den staatlichen Stellen durchaus im Einklang mit den fleischerzeugenden und -verarbeitenden Betrieben sehr daran gelegen war, einen amtlichen BSE-Nachweis wenn irgend möglich zu verhindern.

Das tat das OLG leider erst nach Rechtskraft der Kündigung durch das Arbeitsgerichtsurteil aus Neumünster . Weiter schrieb das OLG unter anderem: "Unter diesen Umständen handelte Frau Dr. Herbst durchaus verantwortungsbewusst und in Wahrnehmung berechtigter Interessen..."

Auch das Landesarbeitsgericht, das aus prozessrechtlichen Gründen die Kündigung zwar nicht neu verhandel konnte, übte deutliche Kritik am erstinstanzlichen Arbeitsgerichtsurteil und der Zurückweisung der Berufung indem es an die unterlassene Würdigung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit und an den tatsächlich nicht ausgeräumten BSE Verdacht erinnerte und dem Kreis Segeberg deshalb den ungewöhnlichen Vorschlag machte, Frau Dr. Herbst wieder einzustellen.

 

Da es dafür heute zu spät ist kann nur eins richtig sein:

Frau Dr. Herbst zu rehabilitieren und sich mit ihr einvernehmlich bis spätestens 21.12.2014 über eine Entschädigung zu verständigen." Einvernehmlich meint natürlich einen angemessenen Kompromiss und keinesfalls eine Spitzabrechnung in sechsstelliger Höhe. Ich komme Ihnen auch gern noch weiter entgegen und ergänze unseren Antrag dahingehend, dass dazu eine Mediation vorgeschlagen wird.

Diese hätte dann auch die Aufgabe, das Land Schleswig-Holstein mit in die Pflicht zu nehmen, das an der Schönung der Befundformulierung im MELFF Bericht vom 5. Oktober 1994 ja nicht unbeteiligt war.

Bei Kenntnis des gesamten Vorganges jetzt noch ausschließlich die Rechtskraft der Kündigung als einzigen Bewertungsmaßstab zu sehen, lehnen wir ab und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.